(© Melanie Vogel) Die Frage, ob Hoffnung hilfreich ist oder eher zur Verklärung krisenbehafteter Umstände verleitet, ist so alt ist wie die europäische Philosophiegeschichte selbst. Unterschiedliche Strömungen und Einstellungen ringen miteinander. Und so ist über die Jahrhunderte eine Kontroverse um den Begriff entstanden, der dazu geführt hat, dass Hoffnung als gelebte Tugend heute mehr oder weniger aus dem Alltag verschwunden ist. Den Mut zur Hoffnung bringt man in Zeiten von Rationalität und Logik kaum noch auf. Der aufgeklärte Mensch weiß, was er erwarten kann – oder auch nicht. Damit erübrigt sich jedes Wünschen auf bessere Zeiten.
Die Kehrseite der Medaille ist: Wo Hoffnung schwindet, gräbt in unsicheren Zeiten Hoffnungslosigkeit tiefe Furchen in den Geist der Menschen. Und Hoffnungslosigkeit – das Fehlen von Zukunftsmut – ist der Anfangspunkt von Lethargie, Apathie, Phlegma. Hoffnungslosigkeit als Dauerzustand macht die Psyche krank.
Der Mensch braucht Hoffnung, um sich selbst durch schwierige Zeiten hindurch navigieren zu können. Aaron Antonovsky hat in bahnbrechenden Untersuchungen in den 70er Jahren die Anpassungsfähigkeit von Menschen untersucht. Geleitet von der Frage „Was hält Menschen dauerhaft gesund?“ hat er eine Gruppe von Frauen befragt, die im zweiten Weltkrieg die Gefangenschaft im KZ überlebt hatten. Er fand heraus, dass die Gruppe der Frauen, die diese Zeit psychisch weitgehend unbeschadet überstand, drei wesentliche Komponenten aktivierte, die zueinander in Wechselwirkung stehen und entscheidend zur psychischen und physischen Stabilität beitragen: Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit/Sinnhaftigkeit. Krisenresilient und damit anpassungsfähig ist, wer eine aktuell widrige Situation
verstehen kann, die Welt also insgesamt als stimmig empfindet
als händelbar wahrnimmt, d.h. Ressourcen und Fähigkeiten aktivieren kann, die helfen, die aktuellen Herausforderungen zu bewältigen
als bedeutsam erlebt – und damit an den Sinn des eigenen Lebens glaubt.
Antonovsky fasste die drei Komponenten unter dem Begriff des Kohärenzgefühls zusammen und stellte fest, dass insbesondere das Gefühl der Sinnhaftigkeit/Bedeutsamkeit bei den inhaftierten Frauen einen starken Zukunftsmut aktivierte, der auf der Hoffnung beruhte, wieder bessere Zeiten erleben zu werden.
Über die Brücke des Kohärenzgefühl können wir uns dem optimistischen Aspekt der Hoffnung annähern, der nicht auf Naivität, Sorge oder Angst beruht, sondern das intrinsische Element des Glaubens beinhaltet, von dem man gemeinhin sagt, er könne Berge versetzen.
Rechnen wir mit dem Schlimmsten und hoffen wir auf das Beste
Wenn wir unseren Geist und unser Herz auf einen positiven Ausklang einer widrigen Situation richten und an das Gute glauben, verändern wir den Grundzustand unseres Seins. Wir erwarten nicht, dass ein bestimmts Ereignis in einer bestimmten Form eintritt, sondern wir hoffen, dass es so sein wird. Die Erwartung verengt, Hoffnung weitet das Herz. Die Hoffnung lässt den Weg zum Ziel offen. Raum für Wunder und Zufälle bleiben bestehen – und lassen uns auch in düsteren Zeiten hoffend hoffen.
Hoffnung ist kein traumwandlerischer Dauerzustand, sondern wir hoffen so lange, bis sich die Hoffnung erfüllt und die widrige Ausgangssituation gelöst hat. In dieser Zeit der Hoffnung bleiben wir nicht untätig und dem Leben gegenüber gleichgültig. Das Beispiel der von Antonovsky befragten Frauen zeigte das sehr deutlich. Sie waren nicht naiv. Sie wussten, in welch prekärer, lebensbedrohlichen Situation sie sich befanden. Sie rechneten täglich mit dem Schlimmsten – und hofften doch auf das Beste. Und in diesem Hoffen lagen kostbare Momente des Lebens, denn die hoffnungsvollen Gefangenen nahmen sehr bewusst am Leben im KZ teil. Sie erfreuten sich an kleinen Dingen – beispielsweise an einem Lächeln, das zu einem kurzen Moment von innerem Frieden und Glück führte.
Hoffnung ist also keine Vermeidungsstrategie, den Widrigkeiten des Lebens nicht ins Auge sehen zu müssen, sondern dient im Gegenteil dazu, die Unschönen Seiten des Lebens bewusst wahrzunehmen, ohne die Hoffnung zu verlieren. Für mich persönlich ist Hoffnung ein spiritueller Moment der Sehnsucht und somit ein energetischer Anschub, sich bewusst für eine Zukunft einzusetzen, die attraktiv genug erscheint, eine widrige Gegenwart auszuhalten.
Oder, um es mit dem Philosophen Ernst Bloch auszudrücken: „Die Hoffnung ist eine Bedingung für das menschliche Leben, die neue Wirklichkeit schafft.“