(© Melanie Vogel) Jede Sekunde strömen rund 20.000.000 (Millionen) Bits an Informationen auf uns ein. Täglich erleben wir ca. 100.000 Gedanken und Gefühle – mehr als 25 % davon sind negativ und verursachen Stress. Unter Stress laufen im Körper mehr als 1.400 physikalische und chemische Reaktionen ab. Mehrere Stress-Reaktionen in Folge und unser Körper ist nach nur einem Tag (!) im Ausnahmezustand. Mehrere Tage, Wochen, Monate oder gar Jahre zehren die Lebenskraft auf. Der Mensch wird infektanfälliger, Leistungskraft und Motivation lassen nach. Das „Fell“ wird dünner, das bedeutet, die Nachsicht für die Marotten anderer Menschen schwindet, Konflikte und Mobbing nehmen zu. Der Empörungsgrad wächst unaufhörlich, denn irgendwo und an irgendwem müssen sich die angestauten Stress-Energien schließlich abreagieren.
Stress zerstört unsere Kohärenz und Inkohärenz erzeugt weiteren Stress. Irgendwann wird Stress zur Grundeinstellung und somit chronisch. Das nennt man eine maladaptive Stressreaktion. Das bedeutet, dass der einzelne Mensch nicht in der Lage ist, sich im gegenwärtigen Moment, hier und jetzt, anzupassen. Auf die emotionale Reaktion folgt – ungefiltert und unreflektiert – eine körperliche Reaktion, denn jede Form von negativem Stress interpretiert unser Körper als eine Notsituation.
Alle Organismen in der Natur – und dazu gehören wir Menschen auch (immer noch…) – sind für kurzfristigen Stress ausgelegt. Eine Gazelle wird von einem Löwen gejagt. 15 Minuten später steht sie wieder auf der Weide und alles ist im Gleichgewicht.
Wir Menschen „ticken“ hier ein wenig anders. Natürlich geraten wir auch in Stress, wenn ein Auto in voller Geschwindigkeit auf uns zurast. Springen wir echtzeitig zur Seite, regen wir uns danach noch 15 Minuten auf, aber vermutlich obsiegt die Erleichterung des Überlebens und gazellenartig gehen wir mehr oder weniger entspannt wieder unserem Tagwerk nach.
Allerdings verfügen wir auch über die unglaubliche Fähigkeit, allein nur durch unsere Gedanken schon Stress auszulösen. Das imaginäre Auto ist für unser Hirn und die dann ablaufenden chemischen und biologischen Reaktionen so real wie das wirkliche Auto. Oder wie es Mark Twain einmal formuliert haben soll:
Ich habe so viel Schreckliches erlebt, aber nichts davon ist wirklich passiert.
Mark Twain
Wir können an ein vergangenes, schlimmes Erlebnis denken, das sich in unsere grauen Zellen eintätowiert hat – und wie durch Zauberei wird dieses Erlebnis wieder zum Leben erweckt. Und in diesem Moment ist es real. Weil unser Gehirn in Bildern arbeitet, produziert es bei bildhaften Erinnerungen die gleichen Reaktionen wie bei tatsächlichen Erlebnissen. Selbiges passiert übrigens auch vor dem Computer-Bildschirm. Die E-Mail einer Kollegin oder eines Kollegen verursacht – obwohl sie nur digital vorhanden ist und meistens auch ohne Bild des jeweiligen Menschen übertragen wird – die gleichen Reaktionen, wie wenn uns der Mensch am Schreibtisch gegenüber sitzen würde.
Auf Grundlage der Daten, die unser Gehirn empfängt, formt es seine Wahrheit und entsprechend fallen die Reaktionen aus. Ein Gedanke schießt uns in den Kopf? Kein Problem – unser Hirn reagiert! Und informiert andere Hirnareale, unser Hormon- und Nervensystem und alle sonstigen Anlaufpunkte im Körper, die im Zweifelsfall auf die imaginäre Notfallsituation reagieren müssen. Und wie schon am Anfang des Artikels erwähnt: rund 1.400 physikalische und chemische Reaktionen sind es – bei nur einem Gedanken, der Stress verursacht! Als Folge erhöht sich unsere Herzfrequenz, unser Immunsystem wird unterdrückt und wir werden ängstlicher, weil wir in diesem Moment nicht unser volles Potenzial ausschöpfen können, da unser gesamtes System mit der Bearbeitung von Stress beschäftigt ist.
Wir können also festhalten: Der Kern jedes Stresses sind mit Emotionen verknüpfte Erinnerungen und/oder traumatische Wahrnehmungen, die entweder in unserem Unterbewusstsein vergraben sind und durch flüchtige Gedanken hervorgeholt oder durch eine aktive Situation erneut getriggert werden.
Daher ist es so wichtig, dass wir unseren Stress kontrollieren – und nicht vom Stress kontrolliert werden.