Epidemie der Einsamkeit

(© Melanie Vogel) Einsamkeit ist ein weltweiter Gefühlszustand, der seit 2020 deutlich zugenommen hat. Doch schon vor 2020 war das Problem der sozialen Isolation so gravierend, dass Großbritannien als erstes Land der Welt zu drastischen Maßnahmen griff und Anfang 2018 ein Einsamkeitsministerium einrichtete. 2021 zog Japan nach und ernannte einen Minister für Einsamkeit. In Japan leben über eine halbe Million Menschen im Alter von 15 bis 39 Jahren in sozialer Einsiedelei. Hikikomori werden diese Menschen genannt – die sozial Isolierten, die sich aus verschiedenen Gründen aus der Gesellschaft zurückziehen. Dazu gehören Versagensängste, immense finanzielle Belastungen, psychische Stresssituationen oder Ängste über die eigene Unzulänglichkeit. Und auch in Deutschland und der Schweiz kennt man das Gefühl der Isolation. Jeder dritte Schweizer fühlt sich einsam und in Deutschland ist es laut dem Deutschland-Barometer Depression rund jeder vierte. Und so hat auch die deutsche Politik das Thema für sich erkannt. Unter dem Dach des BMFSFJ gibt es seit 2022 eine politische Strategie gegen Einsamkeit.

Im Mai 2023 erklärte der US-Chirurg General Vivek Murthy Einsamkeit zu einer Epidemie, da etwa die Hälfte der Erwachsenen in den USA bereits vor Ausbruch der COVID-19-Pandemie über ein messbares Maß an Einsamkeit berichteten. Und am 15. November 2023 gründete die WHO eine “Kommission zur Förderung des sozialen Zusammenhalts und zur Bekämpfung der Einsamkeit” und stufte das Gefühl der Isolation als “Gesundheitsbedrohung” ein, denn Einsamkeit und soziale Isolation haben schwerwiegende negative Auswirkungen auf unsere körperliche und geistige Gesundheit. 

Untersuchungen deuten darauf hin, dass soziale Isolation und Einsamkeit auf lange Sicht genauso schädlich für unsere Gesundheit sind, wie Rauchen oder körperliche Inaktivität. Die Risiken für Schlaganfall, Angstzustände, Demenz, Depression oder Selbstmord steigen.

Was ist Einsamkeit und was verursacht sie?

Einsamkeit ist das Gefühl, nicht mit anderen Menschen, einer Gemeinschaft oder einem größeren Ziel verbunden zu sein. Im Allgemeinen ist Einsamkeit begleitet von Traurigkeit und Verzweiflung, verbunden mit Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit. 

Eine im Jahr 2018 veröffentlichte Studie untersuchte Depression und Einsamkeit bei 143 Studenten der University of Pennsylvania vor und nach der Nutzung sozialer Medien (Facebook, Instagram, Snapchat). Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe zeigten diejenigen, die ihren Social-Media-Konsum auf insgesamt nicht mehr als 30 Minuten pro Tag beschränkten, signifikante Verbesserungen bei Depressionen und Einsamkeit sowie bei Angstzuständen und FOMO (“fear of missing out” – Angst, etwas zu verpassen).

Viele weitere Studien weltweit deuten ebenfalls darauf hin, dass ein exzessiver Medienkonsum die Beziehungs- und Bindungsfähigkeit der Menschen schwächt. Die Studie der Deutschen Depressionshilfe zeigt, dass nicht unbedingt die Anzahl der durchschnittlichen Sozialkontakte für das Einsamkeitsgefühl ausschlaggebend ist, sondern die Qualität der Begegnung. Doch sowohl Anzahl als auch Qualität der menschlichen Beziehungen haben sich verändert. In den 1980er Jahren hatten Menschen im Westen im Durchschnitt noch drei wirklich gute Freunde. Heute ist es oft nur noch ein einziger enger Freund – wenn überhaupt. Der Philosoph Christoph Quarch spricht in diesem Zusammenhang von “einer im Trend der Zeit liegenden Erosion qualitätsvoller Beziehungen”.

Das Gegenteil von Einsamkeit: Verbundenheit

Seit dem 17. Jahrhundert werden wir – insbesondere in Europa – sozial geprägt von dem Gedanken der Trennung. Körper und Geist werden seither als zwei voneinander unabhängige Phänomene betrachtet. Und auch der einzelne Mensch ist mit sich allein, nutzenmaximierend, im stetigen Wettkampf und Leistungsdruck mit anderen. Nun stehen wir an einem Punkt der Geschichte, in der die Einsamkeit – nicht die Gemeinschaft – zum globalen und kollektiven Gefühl geworden ist. Verstärkt auch durch die Maßnahmen der Pandemie und die damit verbundene Spaltung der Gesellschaften auf der ganzen Welt.

Wie könnten nun Schritte zurück in Richtung Verbundenheit aussehen?

  • Gemeinsame Erlebnisse schaffen: Wer unter Einsamkeit leidet, sollte aktiv nach Möglichkeiten suchen, gemeinsame Erlebnisse mit anderen zu teilen. Das kann bedeuten, gemeinsam an einem Projekt zu arbeiten, an einem Workshop teilzunehmen, gemeinsam zu kochen oder einfach nur Zeit miteinander zu verbringen.
  • Anderen helfen: Ein guter Weg raus aus der Einsamkeit ist die Unterstützung anderer, z.B. durch ein Ehrenamt. Anderen Menschen helfen zu können, sorgt für Gefühle von Glück und Zugehörigkeit. Das eigene Sinnempfinden steigt durch die Erfahrung, gebraucht zu werden. Das Gefühl, einen Platz und eine Aufgabe im Leben zu haben, festigt sich wieder.
  • Ein Haustier anschaffen: Tiere sind ein hervorragender Anker, denn sie müssen versorgt werden. Auch sie brauchen uns und vor allem Hunde sind treue Begleiter, die den Weg aus der Einsamkeit weisen. Jedes Gassigehen bedeutet, die eigenen vier Wände zu verlassen und sich – in Begleitung – der Welt zu stellen.
  • Professionelle Hilfe in Anspruch nehmen: Wenn Einsamkeit chronisch wird oder mit anderen psychischen Problemen einhergeht, ist es wichtig, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Therapeuten, Berater, Selbsthilfegruppen oder Coaches können unterstützen und dabei helfen, Strategien zu entwickeln, um mit Einsamkeit umzugehen und das soziale Netzwerk wieder zu stärken.

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