Emotional Literacy

(© Melanie Vogel) „Emotional Literacy“ – ein emotionales Kontextverständnis – ist elementar wichtig, denn der Erwerb des emotionalen Kontextverständnisses ist der Schlüssel zur Freisetzung des inneren Bewusstseins und des ungenutzten Potenzials, das in jedem Menschen bis ins hohe Alter schlummert.

Was ist Emotional Literacy?

Um die Frage zu beantworten ist es zunächst wichtig, den Begriff der „Emotion“ zu definieren. Emotion kommt aus dem lateinischen „emovere“ und bedeutet „herausbewegen. Der englische Begriff „emotion“ steht für „energy in motion“. Emotionen sind also nichts anderes als Energie, die sich aus uns herausbewegt bzw. aus uns herausbewegen will. Energie selbst besteht immer aus Ursache und Wirkung. Daraus ergibt sich also gewissermaßen folgende „Emotions-Formel“:

Emotion = Energie (Ursache + Wirkung), die sich aus uns herausbewegt

Bei positiven Emotionen haben wir meistens keine Probleme, sie zu zeigen und sie rauszulassen (= auszuleben). Tief empfundene Freude, Liebe, Glück oder Dankbarkeit „sprudeln“ aus uns heraus – oder man sieht sie uns einfach an der Nasenspitze an. Anders sieht es aus bei den gesellschaftlich wenig(er) erwünschten Emotionen wie Ärger, Trauer, Wut, Zorn, Ohnmacht oder Hass. Es schickt sich nicht, diese Emotionen offen zu zeigen – und in vielen Familien und Organisationen sind Emotionen generell ein echtes Tabu. „Starke Männer weinen nicht“ oder „Mädchen sind lieb, brav und angepasst“ sind klassische stereotype Verhaltensweisen, die ein sehr deutliches Verbot vermeintlich unpassender Emotionen aussprechen.

Doch erinnern wir uns: Emotionen sind Energien, die sich aus uns herausbewegen wollen (und müssen!). Vor allem die unerwünschten Energien sind extrem machtvoll und hochenergetisch. Können oder dürfen wir sie nicht äußern und ausleben, gären sie in uns – und unterdrückte, eingeschlossene Emotionen machen uns auf Dauer krank! Gerade in Krisenzeiten schwächen unterdrückte Emotionen unsere Resilienz in ganz besonderem Maße.

Beim Erwerb des emotionalen Kontextverständnisses geht es darum, Emotionen wieder wahrzunehmen, sie auszuleben und insgesamt bewusster zu denken, zu fühlen und zu handeln, anstatt nur auf das Leben zu reagieren.

  • Aktion statt Reaktion
  • Bewusstheit statt Unbewusstheit
  • Fühlen statt (nur) denken

Wir alle erleben ständig Emotionen, aber nur selten verstehen wir genau, was sie sind und was sie uns sagen. Unsere Emotionen sind eine Quelle endloser Informationen über uns selbst, die Menschen um uns herum und die Umgebung, in der wir uns befinden. Wenn wir ein emotionales Kontextverständnis besitzen, haben wir nicht nur allgemeine Kenntnisse über Emotionen, sondern wir sind auch in der Lage, die „emotionale Sprache“ fließend zu sprechen. Das bedeutet:

  • Wir fühlen nicht nur, sondern können unsere Gefühle nuanciert betrachten. Wir erkennen beispielsweise den Unterschied zwischen konstruktiver und destruktiver Wut. Und wir wissen: Konstruktive Wut ist eine wichtige Bewegungsenergie, die uns in die Lage versetzt, kristallklare Botschaften zu formulieren, während die destruktive Wut nur Kollateralschäden verursacht.
  • Wir fühlen nicht nur, sondern können diesen Gefühlen einen Namen geben. Wut fühlen wir als Wut und wir können aussprechen: „Ich bin gerade furchtbar wütend“.
  • Wir fühlen nicht nur, sondern bleiben mit diesen Gefühlen zunächst bei uns. Die „emotionale Schuld“ wird nicht nach außen verlagert, sondern wir erkennen uns als Teil dieser Emotion und übernehmen Verantwortung für uns und unsere Gefühle.

Die Entwicklung eines emotionalen Kontextverständnisses ermöglicht uns:

  • unsere Problemlösungsfähigkeiten zu verbessern.
  • sachkundigere, emotional intelligentere Entscheidungen zu treffen.
  • eine bessere Führungskraft und ein besserer Teamplayer zu werden.
  • wichtige Informationen über unser Denken und Verhalten zu bekommen.
  • unsere Beziehungen zu uns selbst und anderen zu stärken.

Emotional Literacy macht uns zu „ganzen“ Menschen. Sie hilft uns, unser emotionales Potenzial zu leben, zu erleben und an ihm zu wachsen und zu transformieren – vom Kind, zum Jugendlichen, zum Erwachsenen, zum weisen Menschen. In jeder Lebensphase an jedem Tag unseres Lebens reifen wir durch ein bewusstes Kontextverständnis unserer Emotionen. Indem wir uns ihnen nicht hingeben, uns nicht in ihnen verlieren oder sie gar unterdrücken, sondern als sie als eine emotionale Sprache betrachten, deren Vokabular sich verändert, je besser wir die Sprache sprechen und je intensiver wir in die vielschichtigen Facetten ihrer Kultur und der jeweiligen Kontexte eintauchen.


Beitrag veröffentlicht

in

von